Die Kleingartenkolonie? Ein Traum oder ein Albtraum? Dies kommt immer auf den Punkt der Betrachtung an. In jedem Fall gibt es in unserer Kolumne Blick über den Gartenzaun jede Menge zum Schmunzeln.

Darin schreibt unsere Kolumnisten Silvia Wuttke über das ereignisreiche Leben in der fiktiven Kleingartenkolonie Sperlingsruh in Grünwald.

Regelmäßig gibt es eine neue Folge, als Text und Podcast. Die aktuelle Folge finden Sie immer ganz oben.

Viel Spaß beim Lesen!  

 

Folge 05: Das Kifferparadies

Die Monate sind vergangen. Es ist Winter geworden, und es ist Anfang Januar. Ich bin seit Mitte Dezember nicht mehr auf der Kleingartenanlage gewesen, da nicht mehr viel zu tun war.

Außerdem haben wir Weihnachten in diesem Jahr mit der ganzen Familie gefeiert – sowohl meine als auch die Eltern von Horst waren zu Besuch – von Heiligabend bis zum zweiten Feiertag. Das war etwas anstrengend gewesen, und ich musste viel einkaufen und kochen. Leider können unsere Eltern nicht besonders gut miteinander.

Horsts Vater – also mein Schwiegervater – heißt Bernd. Als er berufstätig war, war er Richter. Aber auch als Pensionär kennt er kein anderes Hobby als Gesetze, obwohl er – wie mir scheint – manchmal die Realität etwas mit seiner Fantasie vermischt. Und leider bringt er uns damit immer mal wieder auf die Palme.

Als er an den Feiertagen ein Stück verbrannte Gans auf den Teller bekam, fabulierte er: „Mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer Gegenstände vergiftet oder ihnen gesundheitsschädigende Stoffe beimischt und in den Verkehr bringt. Paragraf 314 StGB“. Dabei spießte er das verbrannte Stückchen mit seiner Gabel auf und streckte es mir – der Köchin – vorwurfsvoll entgegen.

„Ach Gott, ach Gott“, kommentierte meine Mutter Margot daraufhin. Ach Gott, ach Gott ist ihr liebster Spruch. Damit geht sie uns ziemlich auf die Nerven. Und was bei Bernd die Juristerei ist, ist bei Margot der Glaube. Leider kommen sich die beiden immer wieder ins Gehege. Wenn Bernd einen seiner Paragraphen zitiert, entgegnet ihm meine Mutter Sprüche wie: „Und der Herr wird kommen und richten über dich!“ Bernd, ein bekennender Atheist, kann damit herzlich wenig anfangen.

Vor 15 Jahren war Margot auf Kur, es ging um ihr Rückenleiden. Dort lernte sie Franziska kennen, eine strenge Katholikin, die Margot, die bis dahin evangelisch war, zum Konvertieren gebracht hat. Margot und Franziska sind seitdem schon viermal nach Santiago de Compestela gepilgert, was ihrem Mann Hartmut jedes Mal durchaus gelegen kam. So hatte er in dieser Zeit seine Ruhe und konnte sich ungestört seinem Hobby – der Modelleisenbahn – widmen. Nur mit dem Selbstversorgen tat er sich in dieser Zeit schwer. Er kann partout nicht kochen und will es auch nicht lernen. Während des ersten Ausflugs seiner Frau nach Nordspanien nahm er drei Kilo ab, und dass obwohl er eh nicht gerade viel auf den Rippen hat. Bei der zweiten Reise sorgte Margot dafür, dass mein Vater während ihrer Abwesenheit „Essen auf Rädern“ bekam.

Ansonsten ist Hartmut ein ruhiger Zeitgenosse. Daher versteht er sich auch mit Horst ganz gut, der sich ja auch oft als großer Schweiger präsentiert.

Die vierte im Bunde ist meine Schwiegermutter Erika. Sie benimmt sich glücklicherweise recht normal und hat keine großen Eigenarten.

Aber gut: Weihnachten liegt in der Vergangenheit, und ich bin nach langer Abstinenz mal wieder in die Kleingartenanlage Sperlingsruh gefahren. Es ist ein sonniger, aber sehr kalter Tag. Ich möchte nach dem Rechten sehen und noch das letzte Laub aus dem Herbst zusammenkehren.

Als ich die Tür aufschließen will, bemerke ich, dass sie offen ist. Ich höre Gelächter. Dieses stammt von Sören und Undine. Außerdem ist noch ein hagerer junger Mann mit Baseball-Cap dabei, der mir auf den ersten Blick etwas älter als die beiden erscheint. Beim Eintreten bemerke ich sofort einen süßlichen Geruch, der durch den Raum wabert.

„Was ist denn hier los?“, rufe ich.

 

„Nichts, nichts“, stammelt Sören und versucht, eine Zigarette auszudrücken. Dabei raucht er meines Wissens nach gar nicht. Und Moment, für eine Zigarette wirkt das ganze Ding ziemlich unförmig. Es handelt sich bei dem Glimmstängel wohl nicht um eine Zigarette, sondern vielmehr um einen Joint.

„Ach Gott, ach Gott“, entfährt jetzt auch mir der Lieblingsspruch meiner Mutter. Mein Sohn ist ein Kiffer! Dieser Gedanke ist alles andere als schön.

Sören starrt mich mit aufgerissenen Augen an. Undine grinst mich breit an, und der andere Kerl rappelt sich auf und kommt auf mich mit ausgestreckter Hand zu.

„Mein Name ist Chris“, sagt er. „Freunde dürfen mich auch gerne Master Chris nennen.“

Verdattert nehme ich seine Hand an. Dann fragt er ganz unverfroren, ob ich nicht auch mal einen Zug von seinem Gras nehmen möchte.

„Nein, natürlich nicht!“, kreische ich.

„Warum nicht?“, fragt mich dieser Master Chris. „Die Ware ist ganz frisch und stammt von hier ganz aus der Nähe.“

„Es sieht nicht so danach aus, wie es aussieht“, meldet sich Sören zu Wort. Etwas Dümmlicheres hätte er nicht sagen können.

„So, wonach sieht es denn aus?“, frage ich erbost.

„Wir lernen doch nur! Für die Schule“. Noch so eine blöde Bemerkung. „Und wir brauchten was Warmes, von Innen, oder so. Hier gibt es doch keine Heizung.“

Ich verliere die Beherrschung und brülle: „Alle sofort raus hier. Meine Gartenlaube ist doch kein Kifferparadies. Seht zu, dass ihr verschwindet!“

Undine ist die Schnellste an der Tür. Ihr folgt Sören. Am meisten Zeit nimmt sich Master Chris, der es sich nicht nehmen lassen kann, noch zu sagen: „Sie verpassen echt etwas! Vielleicht sogar die Dröhnung Ihres Lebens!“

„Verschwinde einfach!“, zische ich ihn an.

Nachdem die drei das Grundstück verlassen haben, lasse ich mich konsterniert auf der Terrasse auf einem meiner schönen Gartenstühle aus Teak-Holz nieder. Das muss ich erstmal verkraften. Aber leider hält das Leben immer wieder unschöne Überraschungen bereit. Nach ein paar Minuten werde ich ruhiger. Der Sonnenschein, der auf meiner Nase ein wenig kitzelt und mir das Gefühl gibt, dass der nächste Frühling schon bald kommen wird, hat seinen Anteil daran. In der Ferne zirpt ein Vogel, von dem ich nicht weiß, um welche Art es sich handelt. In jedem Fall wirkt sein Zirpen sehr beruhigend.

Ich beschließe jetzt, wie geplant, das Laub wegzuharken. Bei der Arbeit merke ich, dass diese mir gut tut. Ich habe mich lange nicht mehr bewegt. Ich freue mich auf den Frühling, der hoffentlich bald kommen wird.

„Na, schöne, Frau? So alleine hier?“, schallt es in diesem Moment von der Pforte her. Es ist Hardy. Der hat mir gerade noch gefehlt. Ohne auf eine Einladung zu warten, stürmt er auf mich zu und umarmt mich umständlich. Sofort bemerkt er, dass es mir nicht gut geht.

„Was ist los?“, fragt er.

„Mein Sohn ist ein Kiffer!“, bricht es aus mir heraus. Dann erzähle ich ihm von meiner Entdeckung.

Hardy macht ein nachdenkliches Gesicht und hört mir aufmerksam zu. Auch als ich geendet habe, sagt er zunächst nichts. Er scheint, seine Worte genau zu wählen, bis er etwas erwidert: „Also, ich trinke jeden Tag Bier, das ist auch nicht schlimm. Das ist vielleicht sogar ein bisschen gesund. Für den Kreislauf und so. Und auch das Kiffen soll durchaus gesund sein. Habe ich mal gehört. Genauso wie Obst essen. Gras ist ja auch eine Pflanze.“

Ich lächele ihn schief an. Ich rechne ihm an, dass er mich trösten will. Aber so richtig dringt sein Trost nicht zu mir durch.

„Ich muss dann mal wieder“, sagt er. „Bier kaufen, und so. In Bier sind auch viele Pflanzen drin.“

Zuhause angekommen, treffe ich auf Horst und berichte ihm von meinen Erlebnissen mit Sören, Undine und Master Chris.

„Soso“, sagt mein Mann.

„Mehr fällt dir dazu nicht ein?“

„Wenigsten waren es keine harten Drogen.“

„Das wäre ja auch noch schöner!“ Ich bin schier entsetzt darüber, wie wenig die Tatsache, dass unser Sohn Gras raucht, Horst aus der Ruhe bringt.

Nach einer kurzen Pause sagt er: „Ich werde mit ihm nachher darüber reden.“ Dann nimmt er mich sanft in den Arm. Er merkt nun wohl doch, dass ich mir große Sorgen mache.

Sören kommt spät nach Hause. Horst und ich sitzen schon von dem Fernseher. Als wir das Klappen der Haustür hören, werfe ich meinem Mann einen Blick zu, der ihn an sein Versprechen erinnern soll. Etwas langsam rafft sich Horst auf. Er sieht so aus, als sortiere er im Kopf seine Gedanken, was er jetzt seinem Sohn mitteilen soll.

Er ist zehn Minuten weg. Dann kehrt er zurück ins Wohnzimmer.

„Und?“, frage ich ihn.

„Er will damit aufhören.“

„Und glaubst du ihm?“

„Ich werde es versuchen.“

Dabei belassen wir es. Doch ein gutes Gefühl habe ich nicht.

 

Und hier als Podcast:

 

Folge 04: Das Gartenfest

Heute ist der große Tag gekommen. Heute wird unser Gartenfest gefeiert, und das Wetter scheint auch mitzuspielen. Im Wetterbericht im Radio wurde angekündigt, dass es trocken bleiben soll und die Temperaturen bis zu 25 Grad ansteigen werden. Beste Bedingungen also.

Da ich Urlaub hatte, konnte ich mich nahezu die ganze Woche mit den Vorbereitungen beschäftigen. Ich habe zwei Lichterketten besorgt, die es bei unserem Discounter um die Ecke zum absoluten Schnäppchenpreis gab, habe Girlanden nach Anleitungen aus dem Internet gebastelt und für reichlich Getränke und Grillgut gesorgt. Gestern habe ich einen großen Kartoffelsalat nach einem Rezept meiner Mutter angefertigt sowie eine Caipirinha-Bowle angesetzt, und heute wird auf dem Kleingarten-Grundstück alles dekoriert.

Horst und Sören konnte ich ebenfalls zur Mithilfe gewinnen. Sören ist für die Auswahl der Musik zuständig und hat mir versprochen, ein paar ansprechende Playlisten auf unserem Tablett zusammenzustellen.

„Such in jedem Fall etwas aus, das allen gefällt“, hatte ich ihn eindringlich gebeten.

„Chill mal, Mom“, hatte er geantwortet, was wohl so viel wie „kein Problem“ heißen sollte.

Horst ist gerade dabei, mit Ahmet eine Biergarnitur aus dessen Garten zu uns herüberzuholen, damit auch jeder unserer Gäste einen Sitzplatz findet. Dann kümmert er sich um den Grill. Ich hänge die Girlanden auf, bringe die Lichterketten an, dekoriere die Tische mit frisch geschnittenen Gladiolen und probiere zwischendrin immer mal wieder die Bowle. Irgendwie bin ich mit ihrem Geschmack noch nicht ganz zufrieden und versuche sie noch etwas zu verfeinern. Dabei gebe ich noch etwas mehr Minze hinzu und schütte noch ein kleines bisschen Cachaça und ein kleines bisschen mehr Sekt hinzu.

Gegen sechs Uhr wirft Horst den Grill an, und knapp eine Stunde später strömt von unserem Grundstück ein herrlicher Geruch in den Himmel, der einfach Appetit macht. Auf einem großen Büfett-Tisch habe ich den Kartoffelsalat und verschiedene Dips sowie jede Menge Brot und Käse angerichtet. Auch die Bowle hat ihren Platz dort gefunden, die inzwischen richtig gut schmeckt. Vom vielen Probieren habe ich mittlerweile einen kleinen Schwips bekommen, was aber nicht schlimm ist. So dämpft er doch ein wenig die Aufregung.

Um kurz nach sieben treffen die ersten Gäste ein. Es sind ausgerechnet Jacqueline und ihr Freund Harry. Beide haben sich wieder mächtig aufgebrezelt. Sie trägt ein purpurrotes Kleid, mit einem für meinen Geschmack viel zu großen Ausschnitt und Schuhe mit kriminell hohen Absätzen. Er trägt eine schwarze Lederhose und ein weit aufgeknöpftes Hemd. Darunter quillt eine große Haarmasse hervor und eine mächtige Goldkette blinkt in der Abendsonne.

Als Geschenk überreicht uns Jacqueline eine große Flasche Sekt, und Harry begrüßt uns alle mit einem Händedruck, der weit über die Schmerzgrenze hinausgeht.

„Soso, ihr seid also die Neuen“, sagt er dabei zu uns. Dann entdeckt er unsere Terrassengarnitur und merkt an: „Schicke Möbel, die haben wir uns auch gerade gekauft.“ Auch er scheint sich an die neuerliche Episode im Baumarkt nicht mehr zu erinnern.

„Und Hans?“, fragt er meinem Mann. „Was sagst du zum Titel der Bayern?“ Dabei schaut er ihn durchdringlich an.

„Ich heiße Horst“, bringt Horst hervor. Und: „Find ich klasse, dass die Bayern es geschafft haben.“

„Ich finde es scheiße“, erwidert Harry. „Ich bin 1860er-Fan. Aber du siehst mir auch aus wie ein Schönwetter-Fan, der keine Niederlagen kennt und es nicht ertragen kann, mit seinem Verein zu leiden, wenn es mal nicht so läuft, nicht wahr, Hans?“

„Horst“, verbessert er noch mal. „Und früher war ich 96er-Fan. Wir kommen aus Hannover, und da haben wir auch nicht immer Sonnenschein erlebt.“

„Hannover 96? Das klingt schon viel besser. Das ist ein Verein mit Herz“, befindet Harry.

Dann lassen sich er und Jacqueline auf den neuen Gartenmöbeln nieder, und Harry verdonnert Sören, ihm ein Bier und seinem „Schnuckelchen“ einen kräftigen Schluck von der Bowle zu bringen. Ohne Wiederworte kommt mein Sohn diesem Wunsch nach.

Jetzt kommen glücklicherweise die Teichmanns. Thomas Teichmann übereicht uns ein Buch, das den Namen: „Die Aprikola – Rose oder Wunderwesen?“ trägt. „Habe ich selbst geschrieben und im Eigenverlag herausgebracht“, verkündet er stolz und zeigt dabei auf den Autoren-Namen auf dem Cover. Sabine Teichmann umarmt Horst und mich herzlich, und Undine begrüßt uns ebenfalls sehr höflich. Gleich danach geht sie zu meinem großen Gefallen schnurstracks auf Sören zu.

Kurz darauf starten die beiden mit dem Musikprogramm, was mir deutlich weniger gefällt. Lauter Deutschrap schallt über die Anlage, in dem die Künstler im Stakkato-Stil wilde Schimpfwörter intonieren.

„Mach das sofort aus!“, rufe ich Sören wütend zu.

„Das ist doch aber gerade ganz oben den Charts. Das sind Apache und Capital Bra“, verteidigt sich dieser.

„Ganz egal. Das will hier keiner hören. Spiel etwas anderes.“

Achselzuckend drückt Sören auf ein paar Knöpfe auf dem Computer, und nun ertönt ebenfalls in einer wahnsinnigen Lautstärke Helene Fischer mit ihrem Dauerbrenner „Atemlos“.

„Das auch nicht“, brülle ich gegen den Lärm. „Was müssen die Leute denken, was wir für einen schrecklichen Geschmack haben. Spiel etwas von Ed Sheeran oder so“, gebe ich ihm Anweisung.

„Mach, was deine Mutter von dir verlangt“, grölt Harry dazwischen und zwinkert mich dabei verschwörerisch an. Er will mir wohl helfen.

Sören gehorcht bei ihm erneut, und nachdem ich gebeten habe, die Lautstärke deutlich zu drosseln, scheint dieses Problem erst einmal gelöst zu sein.

Als nächstes taucht Familie Güngörmüs mit ihren vier Kindern auf, die uns ebenfalls herzlich begrüßt. Nachdem alle artig auf der Biergarnitur Platz genommen haben, frage ich die Familie, was sie trinken möchte.

„Bitte Wasser für die Kinder, und meine Frau und ich wollen mal von der Bowle probieren. Die sieht köstlich aus“, antwortet Ahmet.

„Ihr trinkt Alkohol?“, frage ich etwas verdattert.

„Warum nicht?“, erwidert Ahmet. „Das tun doch all hier.“

„Natürlich“, entschuldige ich mich und ärgere mich ein wenig über das kleine Fettnäpfchen, in das ich getreten bin.

Doch Sengül kommt mir freundlich entgegen: „Allah schaut heute mal woanders hin.“

Als letztes trifft Herr Sinn ein. Er überreicht mir als Gastgeschenk einen Kantenstecher, der sündhaft teuer gewesen sein muss. „Von den Briten von der Insel“, verrät er mir.

Ein sehr schönes Geschenk befinde ich, und Herr Sinn steigt in seinem Ansehen bei mir gleich um drei Stufen.

„Wo bleibt die Wurst?“, ruft Harry in diesem Moment. „Purzelchen und ich haben Hunger.“

Er scheint es zu mögen, seiner Freundin verschiedenste Kosenamen zu geben.

„Mach Dampf, Hans!“, fordert er Horst auf.

Und dieser legt sich jetzt auch mächtig ins Zeug. Sengül bietet sich an, mir beim Servieren zu helfen, und schnell macht sich eine angenehme Stimmung breit. Unsere Gäste scheinen sich alle gut zu kennen, und beginnen gleich mit netten Plaudereien. Auch bei meinem ansonsten recht wortkargen Sohn bemerke ich, dass er sich angeregt mit Undine unterhält. Auch sie scheint ihren Gefallen an ihm gefunden zu haben.

Es wird fleißig gegessen und getrunken, und mit der Zeit wird die Laune immer ausgelassener. Auch ich bin sehr zufrieden, dass unsere Gartenparty so gut ankommt. Langsam wird es dunkel, und die Lichterketten tauchen unseren Kleingarten in ein angenehmes Licht. Inzwischen gestatte ich Sören auch die Musik etwas lauter aufzudrehen, und nach seinen Anfangsschwierigkeiten macht er einen guten Job als DJ.

Horst hat sich nach seiner Arbeit am Grill an ein paar Weizenbieren gelabt und sitzt mittlerweile seit mehr als einer Stunde bei Harry. Die beiden scheinen einen Draht zueinander gefunden zu haben, auch wenn Harry meinen Mann weiterhin Hans nennt.

„Dann muss ich dir noch diese Geschichte erzählen, Hans, als die 60er…“, höre ich einige Wortfetzen zu mir hinüberdringen.

Ich unterhalte mich derweil mit Sengül und Sabine, und wir stellen belustigt fest, dass alle unsere drei Vornamen mit S anfangen. Die Kinder von Familie Güngörmüs tollen durch den Garten, und Ahmet, Thomas und Herr Sinn haben zusammengefunden, um angeregt über mögliche Änderungen in der Vereinsatzung zu diskutieren.

Schließlich ruft Ahmet zu Sören, dass dieser doch mal die Helene auflegen soll. „Spiel ,Atemlos‘, das wollen alle!“

Dann schnappt er sich Sabine und die beiden legen einen flotten Discofox auf unseren Rasen. Herr Sinn fordert Sengül auf, dann folgen auch die Güngörmüs-Kinder sowie Jacqueline und Harry.

Was soll es, denke ich und greife mir meinen Horst, der, was ich gar nicht wusste, eine ganz passable Sohle auf unseren nicht vorhandenen Tanzboden legt.

Undine und Sören schauen vom Rand amüsiert zu und versorgen uns mit weiteren Perlen des Schlagers, die gut ankommen. Und so tanzen wir alle friedlich vereint weit bis in die Nacht hinein.

 

Und hier als Podcast:

 

Folge 03: Die liebe Nachbarschaft

Die Wochen vergehen, und es ist mittlerweile Ende Juli. Ich bin sehr zufrieden, dass der Garten immer vorzeigbarer wird und verbringe dort nach wie vor so viel Zeit wie möglich. Auch Horst hat gelegentlich mal mitgeholfen, aber irgendwie hat er in letzter Zeit ständig „Rücken“ und jault über die viele Schufterei. „Ohne Fleiß kein Preis“, sage ich dann immer, was ihn aber nicht besonders beeindruckt. Stattdessen rollt er mit den Augen und plumpst ermattet auf einen Liegestuhl oder auf einen Sessel unserer neuen Terrassengarnitur. Ich stelle immer mehr fest, dass seine Leidenschaft für den Garten wohl nie an die meinige herankommen wird. Auch Sören war zuletzt nur noch sehr sporadisch hier. Aber mit beidem kann ich leben.

Inzwischen habe ich erste Bekanntschaften mit unseren Nachbarn geschlossen. Den Garten rechts von uns besitzen Irina und David Tröster. Sie sind Spätaussiedler aus Kirgisien und unheimlich nette Leute. Und sehr fleißig. Die beiden nutzen jeden Flecken ihres Gartens, um Gemüse anzubauen. Gerade jetzt erst haben sie Kartoffeln geerntet und diese schubkarrenweise weggekarrt. Herr Sinn hat neulich mal anklingen lassen, dass das für seinen Geschmack zu viele Erdäpfel seien, und dass er die ausgewogene Mischkultur in dem Garten gefährdet sehe. Hoffentlich wird er den beiden keinen Ärger bereiten. Irina wiederum hat mir erzählt, dass die beiden eine große Familie haben, und alle immer sehr froh über das viele Gemüse seien. Außerdem koche sie selbst äußerst gerne Eintöpfe, die extrem lecker seien und „immer satt machen“. Beruflich arbeitet er in einem Autohaus, sie ist als Kundenberaterin in einem Call-Center tätig.

Auf der anderen Seite bewirtschaften die Teichmanns den Garten. Sabine Teichmann ist Lehrerin, Thomas Teichmann Informatiker. Die beiden haben eine Tochter namens Undine. Sowohl die beiden Eltern als auch das Mädchen, das im gleichen Alter wie Sören ist, sind ebenfalls sehr freundlich. Undine macht einen wirklich gut erzogenen Eindruck und ist im Gegensatz zu Sören auch recht kommunikativ. Irgendwann muss ich Sabine, die in Sachen Pädagogik als Lehrerin bestimmt ein echter Profi ist, mal fragen, was die beiden mit ihrem Kind anders machen. Leider haben sich Sören und Undine bislang noch nicht kennengelernt. Vielleicht könnte sie ihn ja mal auf andere Gedanken bringen und weg von seinem Computer locken. Thomas Teichmann hat ein besonderes Faible für Rosen. Vor allem die orangefarbene Beetrose Aprikola hat es ihm angetan. Immer wieder sehe ich, wie er sich vor ihren prächtigen Blüten aufbaut, an diesen schnuppert und dann einen wirklich glückseligen Eindruck macht.

Und direkt gegenüber von unserem Grundstück hat sich Familie Güngörmüs einen Garten gesichert. Die Familie stammt aus der Türkei und betreibt in Pullach ein Restaurant. Sie heißt Sengül, ist etwas zurückhaltend, dafür ist ihr Mann Ahmet umso offener. Wenn er deutsch spricht, dann mit breitem bayrischen Dialekt, und seine Ansichten sind manchmal denen des strengen Herrn Sinn nicht unähnlich. Kein Wunder, dass die beiden sich auch sehr gut verstehen. In Anwesenheit von Ahmet sehe ich Herrn Sinn immer mal wieder auch lachen, was ich bei ihm sonst noch nie beobachten konnte. Gelebte Integration, denke ich dann, und freue mich darüber. Hier in der Kleingartenanlage Sperlingsruh scheint diese gut zu funktionieren. Sengül und Ahmet Güngörmüs haben vier Kinder, die noch sehr jung sind, und manchmal auch für ordentlichen Lärm sorgen. Dies scheint aber niemand zu stören, und auch Herr Sinn scheint aufgrund seiner Freundschaft zu Ahmet alle Augen zuzudrücken. Die Kinder hören auf die Namen Hatice, Mohammad, Deniz und Nurcan.

 

Vor ein paar Tagen habe ich mir überlegt, dass ich ein kleines Gartenfest mit den Nachbarn aus dem Löwenzahnweg machen möchte.

„Warum?“, hat Horst gefragt.

„Na, wir müssen immer noch unseren Einstand geben.“

„Soso, na denn.“

Horst ist also auch auf meiner Seite, und so habe ich mir für den heutigen Samstag vorgenommen, die Einladungen zu verteilen. Samstags habe ich festgestellt, ist wirklich jeder in seinem Kleingarten zugange. Gefeiert werden soll in genau zwei Wochen, und ich konnte Sören überzeugen, die Einladungskarten an seinem Rechner zu entwerfen. Sogar ein Blümchen hat er auf diese gezaubert, was mich als Mutter echt begeistert.

Als erstes gebe ich Irina und David eine Karte, die sich sehr freuen und gleich zusagen. Auch Familie Güngörmüs ist sofort begeistert. „Das ist sehr fein von dir“, sagt Ahmet und schüttelt mir herzlich die Hände. Dann schiebt er noch hinterher: „Geselligkeit ist des Deutschen Pflicht.“ Der Mann scheint sich wirklich sehr gut assimiliert zu haben.

Bei den Teichmanns treffe ich heute nur Thomas, der schon wieder mit einer Gießkanne in der Hand an seiner „Aprikola“ hantiert. Auch er verspricht, dass er mit Sabine und Undine vorbeikommen werde.

Herr Sinn ist, was ungewöhnlich ist, heute nicht auf der Parzelle, aber ich stecke ihm eine Karte in den Briefkasten.

Dann gehe ich weiter und komme zu einem Garten, dessen Bewohner ich bislang noch nicht kennengelernt habe. Auf einer Gartenliege liegt eine junge Frau, deren Gesicht hinter einer Zeitschrift steckt.

„Servus“, rufe ich.

„Hallo“, antwortet sie, ohne dabei ihre Zeitschrift wegzunehmen. Es muss sich wohl um einen sehr spannenden Artikel handeln.

„Ich bin die Silvia Wuttke“, versuche ich es weiter. „Ich wollte Sie fragen, ob Sie Lust haben, in zwei Wochen auf unserem Gartenfest vorbeizukommen. Uns gehört der Garten im Löwenzahnweg 11 und wir wollten unseren Einstand geben.“

Jetzt lässt die Frau ihre Zeitschrift sinken, und ich erstarre. Bei der Nachbarin handelt sich um die blöde Kuh, die uns im Baumarkt die Gartenmöbel weggeschnappt hat. Während ich noch versuche, die Fassung wiederzugewinnen, setzt sie ein breites Lächeln auf und kommt auf mich zu.

„Das ist aber nett“, sagt sie. „Ich bin die Jacqueline.“

Während ich immer noch fieberhaft überlege, was ich aus dieser Situation machen soll, entreißt sie mir mit einer schnellen Bewegung eine meiner Einladungskarten.

„Die ist aber süß“, fährt sie fort und zeigt auf die Blume auf der Karte. „Eine Gerbera, richtig?“

„Eine Lilie“, stammele ich.

„Ach, wie royal.“

Ich nicke.

„In zwei Wochen?“, fährt sie in der Konversation fort. „Das ist sehr gut, da können mein Freund Harry und ich in jedem Fall. Das ist sehr reizend. Wir werden selbstverständlich kommen.“

Und ohne eine weitere Bemerkung lässt sie mich erneut stehen. Solche Abgänge scheint sie zu lieben. Für einen Moment lang bleibe ich noch stehen und frage mich, ob auch sie mich erkannt hat. Ich kann es nicht sagen. Während sie sich wieder hinter ihrer Zeitschrift verschanzt, lasse ich noch einen Blick durch ihren Garten kreisen. Alles wirkt sehr ordentlich, aber irgendwie auch steril und lieblos. Mein Blick bleibt nirgendwo hängen, wo ich denke: Ach wie hübsch. Nur auf der Terrasse stehen die geschmackvollen Möbel, die inzwischen auch unsere Anlage zieren und um die wir uns neulich im Baumarkt gestritten haben.

Konsterniert trete ich den Rücktritt an. Zum ersten Mal ist in meinem grünen Paradies Sperlingsruh ein Schatten aufgezogen.

 

Und hier als Podcast:

 

Folge 02: Im Baumarkt

Inzwischen sind vier Wochen vergangen, und ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass ich voll und ganz in der Kleingartenanlage Sperlingsruh angekommen bin. Ich habe nahezu jede freie Minute auf der Parzelle verbracht und auf unserem Grundstück schon einiges bewegt.

Als erstes habe ich – wie uns geheißen wurde – den Kirschlorbeer ausgebuddelt und entsorgt. Wie ich vermute, konnte ich damit einige Pluspunkte bei Herrn Sinn sammeln, der mich kurz nach der Aktion noch einmal besuchte und ein paar wohlwollende Blicke in Richtung des Platzes schickte, wo einst der opulente Strauch gestanden hatte. Anstatt des Kirschlorbeers habe ich zwei zarte Rhododendrenbüsche gesetzt, in der Hoffnung, dass sie schnell heranwachsen, um irgendwann das entstandene Loch zu füllen.

Ferner habe ich schon mehrfach den Rasen gemäht, ordentlich Unkraut gejätet und die ersten Zier- und Nutzpflanzen ins Beet gebracht. Besondere Hoffnung setze ich in mein neues Kräuterbeet, in welchem ich Basilikum, Petersilie, Rosmarin, Schnittlauch und auch Thymian ziehen möchte. Daneben sollen Gurken, grüne Bohnen und Feldsalat gedeihen. Noch hat sich nicht viel getan, aber ich bin immer fleißig am Gießen und hoffe, dass sich die Pflänzchen prima entwickeln werden.

Etwas aufwendiger war das Entrümpeln der gelben Laube gewesen. Nach dem ersten Öffnen der Tür hatte sich kein schöner Anblick geboten. Es hatte äußerst muffig gerochen, und die Bude war mit jeder Menge unbrauchbarem Kram von der verstorbenen Frau Mayrhofer vollgestopft gewesen. Ich hatte mir von einem Arbeitskollegen einen Anhänger ausgeliehen und eineinhalb Wochen lang Fuhren zur örtlichen Deponie unternommen, um Ordnung in die Laube zu bekommen. Inzwischen ist das Bild in dem Holzhäuschen schon ein ganz anderes, und durch intensives Lüften ist auch der Muff schon größtenteils verflogen.

Beim Aufräumen hatte ich gehofft, auf den einen oder anderen Schatz zu stoßen, aber viel Wertvolles konnte ich nicht finden. Behalten habe ich lediglich ein paar Gartengeräte, einen sehr schönen kleinen Marmortisch, eine Holzbank sowie eine große Sammlung an Porzellantellern, die unterschiedlichste Pferdemotive zeigen. Diese befanden sich in einer großen Kiste, und ich habe Sören gebeten, die Teller auf Ebay zu versteigern. Vielleicht bringen sie ja noch ein paar Euro ein. Bisher haben wir aber noch keinen Abnehmer gefunden. Oder Sören hat sich noch nicht darum gekümmert, die Sachen ins Netz zu stellen. Auch das ist durchaus denkbar. Ich werde ihn demnächst noch einmal daran erinnern.

Die vergangene Woche habe ich damit verbracht, die sich abblätternde gelbe Farbe des Hauses abzuschleifen, um sie anschließend durch ein knalliges Rot zu ersetzen. Dieses bildet einen schönen Kontrast zu den Fenster- und Türrahmen, die ich weiß übertüncht habe. Ich bin sehr stolz auf mein Werk, und unser Büdchen kann sich wieder sehen lassen.

Horst und Sören haben bisher nur wenig Zeit in dem Kleingarten verbracht. Sören hatte mir sehr deutlich signalisiert, dass er seine wertvolle Zeit nicht mit anstrengender Gartenarbeit verschwenden möchte, und Horst hatte aufgrund einer Software-Umstellung in der Zulassungsstelle beruflich viel zu tun und war abends immer erst spät nach Haus gekommen. Und die Wochenenden hatten bei ihm natürlich wie immer ganz im Zeichen des Fußballs gestanden. Schließlich ist dort gerade großes Saisonfinale, obwohl schon seit mehr als vier Wochen feststeht, dass der FC Bayern München es schon wieder geschafft hat, die Konkurrenz so weit hinter sich zu lassen, dass sich der Meistertitel nicht mehr nehmen lässt. Warum man sich jetzt noch die restlichen Spiele anschauen muss, ist mir schleierhaft, aber ich bin es ja von meinem innig geliebten Mann nicht anders gewohnt.

 

 

Heute jedoch begleiten mich Horst und Sören in den Baumarkt. Es ist Freitagabend und ich habe die beiden mitgenommen, um gemeinsam eine Sitzgarnitur für die Terrasse auf dem Kleingartengrundstück auszusuchen. Wirklicher Enthusiasmus kommt aber auch hier bei beiden nicht auf.

„Langweilig“, lässt sich Sören immer wieder vernehmen und ist ansonsten überhaupt nicht bei der Sache, sondern starrt immer wieder in sein Handy oder hackt mit flicken Fingern ein paar Wörter in das Gerät. „Whatsappen“ heißt das so schön auf neudeutsch, wie er mir neulich erklärte. Ich hoffe nur, dass er sich jetzt gerade nicht bei seinen Freunden über seine „Alten“ beschwert, mit denen er im Baumarkt „rumhängen“ muss.

Auch Horst wirkt etwas müde und abgespannt. Das Software-Projekt scheint ihn ganz schön mitzunehmen. Aber immerhin schiebt er den Einkaufswagen.

Ich für meinen Teil bin aber voller Eifer und studiere die angebotenen Waren. Bei den vielen Artikeln fällt die Auswahl gar nicht so leicht. Also frage ich die Männer: „Welche Möbel gefallen euch denn am besten?“

Sören blickt nur kurz von seinem Handy auf und grunzt: „Die sind doch alle scheiße.“

Horst wiederum zeigt auf ein paar Plastikmöbel, die ihn vor allem wohl wegen des günstigen Preises überzeugen. Zu den weiteren negativen Eigenschaften bei ihm zählt leider auch, dass er sehr knauserig ist und am liebsten nie Geld ausgeben möchte.

„Auf keinen Fall“, entgegne ich. „Die sind doch potthässlich. Was haltet ihr von diesem schönen Teakholz-Tisch und den dazu passenden Stühlen?“

Horst greift zum Anhänger mit dem Preis, und ich kann sehen, wie sich seine Augen vor Schreck weiten. „Das sind über 1000 Euro. Das geht überhaupt nicht.“

„Ach, bitte“, sage ich und versuche einen flehenden Dackelblick aufzusetzen. „Die sind doch wunderschön, und es ist auch nur noch eine Garnitur vorhanden.“

„Nö.“

„Und wenn ich die Möbel von meinem Geld bezahle?“, versuche ich es weiter.

Leider hat Horst keine Zeit mehr zu antworten, denn in diesem Moment kriege ich einen solchen Schubser in die Seite, sodass ich mich kaum auf den Beinen halten kann. Lediglich der Aufprall gegen ein Regal verhindert, dass ich stürze.

„Aua“, sage ich extra laut, nachdem ich bemerkt habe, dass der Schubser durch einen Einkaufswagen ausgelöst wurde, an dessen hinterem Ende sich eine aufgetakelte Blondine befindet. Minirock, nach oben geschobene Sonnenbrille und hochhackige Schuhe. Genau der Typ Frau, den ich überhaupt nicht leiden kann. Und daneben gleich das passende männliche Pendant. Ein kaugummikauender, muskelbepackter und mit weit aufgeknöpftem Hemd sowie Goldkette versehener Kerl.

„Entschuldigung“, raunzt mich das Frauenzimmer an, was deutlich macht, dass sie kein ehrlich gemeintes Bedauern zum Ausdruck bringen möchte, sondern vielmehr eine Kampfansage artikulieren will. Und warum sie sich so impertinent verhält, wird jetzt auch sofort deutlich. Sie hat es auf das gleiche Objekt der Begierde wie ich abgesehen.

„Hier Schatzi“, wendet sich an das Anabolika-Monster. „Diese Möbel meine ich. Sind die nicht cute?“

„Alles, was du willst, Baby“, antwortet er oberlässig.

Ich kotze gleich, denke ich. Die zwei sind genau solche Exemplare des Homo sapiens, wie ich sie auf den Tod nicht ausstehen kann. Und außerdem wollen sie mir meine Möbel wegschnappen.

„Entschuldigung“, mische ich mich daher energisch ein. „Diesen Tisch und diese Stühle da, auf die sie gerade zeigen, wollen wir kaufen. Und wir waren zuerst da.“

„Ach so?“, erwidert die arrogante Zicke und schickt mir einen abfälligen Blick zu. „Das wollen wir doch mal sehen. Los Harry, lade die Sachen auf den Wagen.“

„Für dich Jackie, doch immer“, säuselt er zurück.

„Nur über meine Leiche“, sage ich und versuche genauso giftig wie die Tussi zu schauen. Dann blicke ich zu Horst: „Sag du doch auch mal was.“

Aber leider ist Horst wieder mal keine große Hilfe. Entschuldigend zuckt er die Achseln, und tritt auf eine wegscheuchende Bewegung des Muskelprotzes hin brav zur Seite. In Windeseile hat der Mann die Möbel auf dem mitgebrachten Wagen verladen, und schon schieben die beiden ab, ohne uns weitere Beachtung zu schenken.

„Na, toll“, sage ich vorwurfsvoll zu Horst.

„Was hätte ich machen sollen?“, spielt er die Unschuld vom Lande.

„Oooooh, du bist unmöglich.“ Ich bin jetzt richtig sauer.

Stattdessen zeigt Horst wieder auf die billigen Plastikmöbel. „Wir können doch immer noch diese nehmen.“

„Im Leben nicht“, zische ich ihn an.

„Auch gut.“

Nach einem kurzen Moment des Schweigens entscheide ich, den Baumarkt zu verlassen. Der Rest des Angebots überzeugt mich nicht. Ich wollte einfach die tollen Teak-Möbel haben.

Auch das scheint Horst recht zu sein. Schließlich verlassen wir den Baumarkt, ohne Geld ausgegeben zu haben.

Das gleichgültige Verhalten meiner beiden Männer auf der Rückfahrt frustriert mich noch mehr. Mich wurmt diese Shopping-Niederlage, die uns diese beiden Primitivlinge zugefügt haben, auf ganzer Linie.

Während Horst zuhause angekommen gleich den Fernseher einschaltet und sich Sören wieder in sein Zimmer verzieht, begebe ich mich immer noch äußerst verärgert ins Schlafzimmer. Ich frage mich: Warum mussten wir uns von solchen Untermenschen so vorführen und wie die letzten Deppen behandeln lassen?

Schließlich habe ich aber eine gute Idee, und die schlechte Laune verwandelt sich in genau das Gegenteil. Ich hatte mir die Marke der Gartenmöbel gemerkt und konnte sie nach einer kurzen Recherche im Internet auf meinem Tablet finden. Für 200 Euro günstiger. Und in bereits in drei Tagen sollen sie geliefert werden. Ich freue mich über meinen Schnapper und denke, obwohl ich von ganzen Herzen Atheistin bin: Es gibt einen Gott!

 

Und hier als Podcast:

 

 

Folge 01: Reiner Unsinn

„Jaaaaaaaaaaaaa!“

Kurze Pause.

Und wieder: „Jaaaaaaaaaaaaa!“

Wer hier so schreit, sich freut und sich wie ein Brummkreisel um die eigene Achse dreht – das bin ich.

„Jetzt ist sie komplett verrückt geworden“, ätzt mein 15 Jahre alter und mitten in der Pubertät steckender Sohn Sören.

Blödmann, denke ich.

Leider nickt ihm mein Mann Horst bestätigend zu.

Idiot, denke ich.

Aber dann freue ich mich wieder und rufe erneut laut: „Jaaaaaaaaaaaaa!“

„Was ist denn los?“, fragt endlich Horst.

„Wir bekommen den Kleingarten“, rufe ich begeistert.

„Welchen Kleingarten?“, fragt Sören verständnislos und schaut zu seinem Vater. Doch der zuckt nur mit den Schultern.

„Den Kleingarten im Kleingartengebiet Sperlingsruh“, kläre ich auf. „Der Kleingarten, um den ich mich letzte Woche bei Herrn Sinn beworben habe.“

Damit ist für mich ein großer Traum in Erfüllung gegangen. Seit Jahren schon wünsche ich mir meinen eigenen Flecken Grün, und habe immer wieder versucht, einen Pachtvertrag für ein Grundstück in einem Kleingartengebiet zu bekommen. Da ich diesen Traum aber nicht alleine hege, da Gärtnern momentan beliebter denn je zu sein scheint, ist die Zuteilung einer Parzelle in einer solchen Anlage so etwas wie ein Sechser im Lotto. Pures Glück. Doch vor fünf Minuten hat Herr Sinn, der Vorsitzende des Vereins Sperlingsruh, angerufen und mir die Zusage erteilt.

Horst scheint sich zu erinnern, aber bei meinen vielen Bewerbungsversuchen – die bislang ja alle auch vergeblich waren – hat er es aufgeben, den Überblick zu behalten. Jetzt fragt er immerhin: „Sperlingsruh? Das ist liegt doch hinten am Stadtrand?“

„Genau“, jubele ich und drücke ihm einen dicken Kuss auf die Stirn. Als ich dasselbe bei Sören versuche, duckt dieser sich angewidert weg. Aber davon lasse ich mir nicht mehr die gute Laune verderben.

 

 

Drei Tage später machen wir uns auf den Weg zur Kleingartenanlage Sperlingsruh. Wir – das sind die Wuttkes. Und die Wuttkes, das sind Silvia, Horst, Sören und unser Hund Kurty.

Ich bin Silvia, 45 Jahre alt, zum einen halbtagsbeschäftigte Sekretärin in einem kleinen Versicherungsbüro, und zum anderen halbtagsbeschäftigte Hausfrau, Mutter und Ehegattin. Doch künftig wird sich ein Teil von letzterer Hälfte in eine angehende und äußerst ambitionierte Kleingärtnerin verwandeln. Dessen bin ich mir ganz sicher.

Mein Mann Horst, 49 Jahre alt, ist ganztags beschäftigt – und zwar als leitender Angestellter bei der Kfz-Zulassungsstelle in Grünwald. Seinen Feierabend verbringt er gerne vor dem Fernseher – immer mit dem einen oder anderen Glas Weizenbier – und so oft es geht mit dem FC Bayern München. Manchmal auch mit Hannover 96.

Sören ist wie bereits erwähnt 15 Jahre alt. Er ist in der Pubertät und macht gerade eine schwere Phase durch. Vor allem die blühenden Pickel im Gesicht sorgen bei ihm für Verdruss. Nur selten ist er mit uns einer Meinung. Am liebsten sitzt er in seinem Zimmer und spielt Computer. Naja, eben ganz typisch, wie Jungs in seinem Alter halt so sind.

Der dritte Mann im Bunde ist Kurty. Und wenn ich es mir recht überlege, meistens sogar mein Lieblingsmann. Wenn ich ihm sein Fresschen bereitstelle, überschlägt er sich mit seinem Gebell und seinem wedelnden Schwanz vor Freude, und ich weiß, dass mich dieses grundgütige Geschöpf mit den treuen braunen Augen von Herzen liebt.

Beim Kleingartenverein angekommen – empfängt uns Herr Sinn. „Servus, Rainer Sinn“, stellt er sich vor. Dass er zum Vorsitzenden gewählt worden ist, wundert mich nicht. Herr Sinn hat kurzgeschorene, leicht zurückgegangene graue Haare und macht trotz der bayrischen Tracht, die er trägt, einen militärischen Eindruck. Sein Blick ist durchdringlich und sein Händedruck kräftig.

Hoffentlich hat er nichts gegen Zugezogene denke. Nichts gegen Saupreißen, die noch vor fünf Jahren in Hannover gelebt haben.

Ohne weiteres Geplänkel führt er uns in den Löwenzahnweg 11. Die neue Glücksadresse für Familie Wuttke.

„Was ist das denn für eine Bruchbude?“, entfährt es Horst. Für ihn ist solch eine Bemerkung schon ein wahrer Gefühlsausbruch. Ansonsten ist er eher eine gemütliche, wenn nicht sogar ein bisschen schläfrige Natur.

Auch mich durchzuckt es beim ersten Anblick. Das gelbe Häuschen, auf das wir schauen, macht wirklich einen etwas heruntergekommen Eindruck. Und auch der es umgebende Garten wirkt ziemlich verwahrlost. Aber, denke ich, das wird schon.

In Sörens Gesicht kann ich keine Regung entdecken, und Herr Sinn sagt: „Das war die Parzelle von Frau Mayrhofer. 86 ist sie geworden und vor kurzem gestorben.“

„Aha“, sage ich interessiert, und Herr Sinn fährt fort: „Ich habe sie immer wieder aufgefordert, Ordnung zu schaffen. Schließlich haben wir strenge Regeln auf der Anlage, was die Pflege von Haus und Garten angeht. Aber mit 86 war bei ihr nicht mehr viel zu machen, und Angehörige gab es auch nicht.“

Mit einem Quietschen öffnet Herr Sinn die Pforte und lässt uns unser neues Reich betreten. Meine Augen versuchen auf die Schnelle, die Gesamtsituation zu erfassen. Und auch beim näheren Hingucken wirkt die ganze Szenerie nach wie vor etwas trostlos. Jede Menge Arbeit, denke ich. Aber das wird schon. Immerhin steht in der Ecke ein schöner Kirschlorbeer.

Auf diesen zeigt Herr Sinn auch just in diesem Moment und sagt: „Wer Kirschlorbeer pflanzt, der ist ein Verbrecher an der Natur. Diese Dinger sind bei uns verboten. Und daher muss auch Ihrer dort schleunigst weg.“

„Mmh“, sage ich artig, und auch Horst nickt.

„So, kommen wir zum Wesentlichen“, sagt Herr Sinn und macht ein ernstes Gesicht. „Hier sind die Vereinsregeln, die sich streng am Bundeskleingartengesetz orientieren. An diese haben Sie sich auch zu halten, und ich werde Sie überprüfen. Das mache ich bei allen so, und bis auf die Frau Mayrhofer haben sich bislang auch immer alle daran gehalten. Aber die war wie gesagt schon 86. Haben Sie mich verstanden?“

Jetzt nicken wir alle drei. Herr Sinn scheint ein Mann zu sein, der keinen Widerspruch duldet. Mein erster Eindruck verfestigt sich.

„Genau durchlesen“, fährt er fort und händigt uns die sechsseitige Kleingartenverordnung aus. „Und hier ist der Vertrag. Sie zahlen 350 Euro Pacht im Jahr sowie 100 Euro Vereinsbeitrag. Wer dreimal im Monat mit der Pacht säumig bleibt, wird fristlos gekündigt. Bis spätestens Ende der Woche bringen Sie den unterschriebenen Vertrag bei mir vorbei. Mir gehört ein Grundstück gleich um die Ecke. Löwenzahnweg 3.“

Dann drückt er uns ein Schlüsselbund in die Hand, lüftet kurz den Trachtenhut und macht sich mit schneidigen Schritten auf und davon.

„Das wird unser Untergang“, stöhnt Horst. „Das werden wir nie schaffen!“

„Das wird schon“, beruhige ich. „Und es wird schön.“

Seufzend lässt sich Horst auf einer Bank nieder. Zum Glück hat er sich ein paar Weizenbier mitgebracht und öffnet gleich das erste. Sören setzt sich missmutig neben ihn und lässt die Beine baumeln.

Nur Kurty stöbert durch den Garten und fängt an, sein neues Revier zu erkunden.

Ich atme tief ein, blinzele in die Sonne und sage mir erneut: Das wird schon.

Da meldet sich Horst zu Wort. Er hat seine Lesebrille aufgesetzt und beginnt aus der Gartenordnung des Kleingartenvereins Sperlingsruh zu zitieren: „Der Pächter hat seinen Garten ausschließlich kleingärtnerisch zu nutzen. Der kleingärtnerische Nutzen ist gegeben, wenn der Kleingarten zur Gewinnung von Gartenbauerzeugnissen für den Eigenbedarf und zur Erholung dient. Obst, Sträucher, Gemüse, Blumen und Rasen sollen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Erwerbsmäßige gärtnerische Nutzung sowie einseitige Kulturen sind untersagt.“ Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „Also, wenn du mich fragst, ist das nicht Rainer Sinn, sondern reiner Unsinn.“

Das wird schon, denke ich ein letztes Mal.

 

Und hier als Podcast:

 

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Dann teilen Sie ihn doch über...
Share on Facebook
Facebook
Pin on Pinterest
Pinterest
Tweet about this on Twitter
Twitter
Share on LinkedIn
Linkedin

Schreiben Sie einen Kommentar